Ludwig van Beethoven: Großer Komponist mit Wasserkübel
Beethoven, der langsam sein Gehör verlor, machte sich als Meister der Symphonien einen Namen. Seine radikal neuen Schöpfungen sind genauso legendär wie seine Marotten.
Ein Mann stapft forschen Schrittes über Landstraßen in der Nähe von Gumpoldskirchen bei Wien. Er sieht ungepflegt aus. Mal wirkt er nachdenklich, dann singt und gestikuliert er so wild, dass die Ochsen der vorbeifahrenden Fuhrwerke scheu werden. Es ist Beethoven beim Komponieren. Für manche ein Störfaktor. Einmal wird er sogar wegen Landstreicherei festgenommen. Worin bestand seine große Leistung? Wieso ist der leidenschaftliche Spaziergänger so oft umgezogen – und stimmt es, dass er am Ende seines Lebens, inzwischen völlig taub, die größten Kompositionen vollbrachte?
Als Beethoven im Dezember 1770 in Bonn zur Welt kommt, ist Mozart schon als Wunderknabe bekannt, und Vater Johann, Kopf einer musikalischen Familie, Tenor in einer kurfürstlichen Kapelle, will ähnliches für seinen Sprössling. Auch hier: extremes Talent, großer Wille und Bereitschaft zur Musik. Sie ist ihm ein echtes Bedürfnis. Mit 13 Jahren wird Beethoven zweiter Hoforganist. Ebenso spielt er Cembalo und Bratsche in der Bonner Hofkapelle.
Schwierige Kindheit, schräge Gewohnheiten
Auch hier keine einfache Kindheit: Der Vater trinkt und führt den Buben gerne frühmorgens seinen Gästen vor. Ohrfeigen oder Prügel sind in dieser Zeit noch normal. Zum Großvater, einem Kapellmeister, der stirbt als er drei Jahre alt ist, entwickelt Beethoven eine starke Bindung. Dessen Bild hängt in all seinen Wohnungen an der Wand.
Auch Beethoven ist in der musikalischen Arbeit äußerst diszipliniert. Wie die anderen großen Komponisten der Wiener Klassik, zeigt er abseits der anstrengenden Arbeit aber auch einige Ticks und Marotten. Er mag Kaffee. Der muss allerdings immer aus 60 Kaffeebohnen gemacht sein, die vorher abgezählt werden. Für das Networking in hohen Wiener Kreisen kauft er sich zunächst brav Perücken, komponiert Tänze, um zu gefallen, und zieht sich ordentlich an. Doch Mode ist ihm egal, auch Körperhygiene nicht so wichtig. Manchmal kommt er dann wirklich daher wie ein Landstreicher. Und: Er wird Weltmeister im Umziehen.
Von der Übersiedlung nach Wien 1792 bis zu seinem Tod 1827 wechselte er insgesamt 68 Mal den Wohnsitz: Weil er wollte, er brauchte Veränderung. Weil es nicht unüblich war. Die Leute hatten noch nicht so viel Besitz und verließen im Sommer die enge und heiße Stadt, wenn sie konnten. Und weil er manchmal rausgeschmissen wurde. Vermieter hatten Klavierspiel um zwei Uhr morgens nicht so gerne. Wenn er sich durch anstrengendes Komponieren erhitzt fühlte, goss er sich mitten in der Wohnung einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf – was die Nachbarn unter ihm wenig freute.
Musikalischer Durchbruch in Wien
Ende Dezember 1786 reist der 16-jährige Beethoven zum ersten Mal nach Wien – der Musikhauptstadt Europas – um Mozart zu treffen und Unterricht bei ihm zu nehmen. Er hat es gut, hat einen Förderer: den extravaganten Graf Ferdinand Waldstein, der in Diensten des Bonner Kurfürsten steht. Doch er muss zurück nach Bonn, der Mutter geht es schlecht. Sie stirbt an Tuberkulose. Es gibt noch keine Impfungen, kein Antibiotikum. Sein Vater Johann zerbricht an dem Schicksalsschlag, verfällt nun völlig dem Alkohol. Beethoven bekommt sogar die Fürsorge für seine jüngeren Geschwister übertragen, und kurz nachdem er endgültig nach Wien übersiedelt ist, um Unterricht bei Joseph Haydn zu nehmen, stirbt auch der Vater. Der Kompositionsunterricht bei Haydn findet im Hambergischen Haus auf der Wasserkunstbastei, der heutigen Seilerstätte, statt. Praktisch gegenüber vom Haus der Musik.
Die Wiener glauben, dass Beethoven adelig ist – wegen dem „van“ in seinem Namen. Dabei geht der
lediglich auf seine Vorfahren im heute belgischen Mechelen zurück. Beethoven ist schlau genug, die Menschen in diesem Glauben zu lassen und seinen Vorteil daraus zu ziehen.
Jetzt knüpft er Kontakte und etabliert sich als Pianist und Komponist. Es ist der Beginn einer Schaffensperiode, in der er einige seiner bekanntesten Werke komponiert, darunter die Klaviersonaten, die ersten Symphonien und Streichquartette. Bei der Struktur geht er neue Wege. In seinen Werken klingen Leidenschaft und Emotion. Der Mann ist ein Genie und besitzt das absolute Gehör. Umso größer ist der Schock, als er 1796, im Alter von 26 Jahren, erste Hörprobleme bekommt.
Hörprobleme durch Fleck-Typhus
„Vermutlich gehen diese Probleme auf eine Typhuserkrankung zurück“, erklärt Katharina Albrecht, Leitern der Musikvermittlung im Haus der Musik. „Es ist interessant, wie Beethoven mit dem Prozess umgegangen ist, bis er schließlich mit 47 Jahren völlig taub wurde. Das hat rund 20 Jahre gedauert.“
Zunächst ist es ihm peinlich. Dann probiert er alles: Geht zu Ärzten, legt Kräuter auf, tropft Flüssigkeiten in die Ohren, nimmt heiße Bäder. Es hilft nichts. Das Gehör wird schlechter. Ein Tinnitus stellt sich ein. Eine Katastrophe. Er hört keine Hochtöne mehr. Es rauscht und braust. Am Ende muss er Konversationshefte führen, um sich zu verständigen. Daraus weiß man, was er gerne aß: Hecht mit Zitrone und Thymian. Makkaroni mit Käse. Brotsuppe.
Eine Symphonie komponiert – völlig taub
1807 schreibt er die Fünfte Symphonie und setzt damit neue Maßstäbe. Bricht Tabus. Mit einem Klopfmotiv zu beginnen, wie er es tut, ist verpönt. Und er nimmt es gleich als Leitmotiv und Melodie. Aber was er daraus macht, mit welcher Kreativität! Als er schon völlig taub ist, schreibt er mit 53 Jahren, drei Jahre vor seinem Tod, die Neunte Symphonie. Über 70 Minuten Musik, für Chor, Solisten, Orchester. Nur aus seinem Kopf heraus.
„Eine unglaubliche Leistung“, sagt Albrecht. „Und er griff dabei auf einen Text von Schiller zurück, den er aus seiner Jugend kannte. Das muss ihm einmal jemand nachmachen. So wie bei den olympischen Winterspielen alle auf den Abfahrtslauf warten, oder bei der Leichtathletik auf den Hundert-Meter-Lauf, blicken in der klassischen Musik alle auf seine Symphonien. Da ist er einsame Klasse.“
Ludwig van Beethovens Dramatischer Schlussakkord
Politisch war Beethoven ein Sympathisant der französischen Revolution und sah im jungen Napoleon Bonaparte den Helden, der das Volk von der adeligen Knechtschaft befreit. Daher widmete er ihm auch die „Eroica“ – also die „Heldenhafte Symphonie“. Als sich der Korse 1804 zum Kaiser ausrufen ließ, fühlte sich Beethoven verraten und widmete die Symphonie daraufhin einem seiner größten Mäzene, dem Fürsten Lobkowitz. Interessant ist, dass Beethoven trotz seiner kritischen Einstellung zur Oberschicht kein Problem damit hatte, sich seinen Lebensunterhalt von adeligen Gönnern finanzieren zu lassen
Beethoven blieb kinderlos. Verheiratet war er nie, dafür oft verliebt. Er liebte die Natur und fuhr so oft es ging aufs Land. Beim Komponieren brauchte er Bewegung: Ein kleiner Spaziergang am Vormittag, ein längerer am Nachmittag. Dazwischen Notizen machen, Melodien pfeifen, und danach Noten zu Papier bringen. Deshalb war er wohl auch fit und wurde 56 Jahre alt. Nach einem Streit mit seinem Bruder Nikolaus Johann – der war Apotheker und wohnte in Gneixendorf bei Krems – fuhr er im kalten Dezember mit der nächstbesten offenen Kutsche retour nach Wien. Dabei verkühlte er sich. Lungenentzündung! Dann kam noch eine Leberzirrhose dazu. Zu seinem Begräbnis am 29. März 1827 am Währinger Ortsfriedhof kamen 20.000 Menschen. Was für ein Schlussakkord.